„Volle Eigenverantwortung“ der Hochschulen verspricht die bayerische Regierung mit ihrem Reformvorhaben. Unter anderem sollen die Hochschulen die Möglichkeit erhalten, „ihre Lehrkapazitäten flexibel zu disponieren“, indem nurmehr ein „Gesamtlehrdeputat“ für die einzelne Hochschule verankert wird. Im Stellenplan ausgewiesene Forschungsprofessuren sollen nicht mehr auf die Aufnahmekapazität für die Lehre angerechnet werden. Mit der Verankerung von „Transfer“ als weiterer gesetzlicher Aufgabe der Hochschulen sollen verstärkte Anreize für unternehmerische Betätigung gegeben werden. Einige Kritiker befürchten, dass dies zu Lasten der Grundlagenforschung und derjenigen Fächer geht, deren Angebote sich nicht ohne Weiteres in Produkte und Dienstleistungen ummünzen lassen. Wie sieht das im Lichte der Erfahrungen der Universitäten in den Niederlanden aus?
Prof. Dr. Hans E. Roosendaal, Universität Twente:
Alle niederländischen Hochschulen sind verschieden, seit sie mit dem Hochschulgesetz von 1992 ihre interne Organisation weitgehend frei gestalten können. Generell kann man gewiss sagen, dass sie sich alle mehr oder weniger „unternehmend“ verhalten und nach Kosten- und Leistungsprinzip (auf Vollkostenbasis) arbeiten. Die Universitäten haben seit 1992 Bauherreneigenschaft, was einige unter ihnen sehr vermögend gemacht hat.
An der Universität Twente wird das Lehraufkommen allein durch die Nachfrage bestimmt. Eine Lehrverpflichtung wie in Deutschland besteht an niederländischen Universitäten nicht. Die Aufgaben in Lehre und Forschung werden jährlich auf der Grundlage von internen Vereinbarungen festgelegt. Die erbrachten Forschungs- und Lehrleistungen der einzelnen Abteilungen und Fakultäten werden auf Vollkostenbasis intern verrechnet. Die Entwicklung der einzelnen Forschungsinstitute wird natürlich von ihren Mitgliedern bestimmt; geleitet werden sie aber von einem wissenschaftlichen und einem kaufmännischen Direktor, die vom Präsidium für fünf Jahre ernannt werden.
Dass niederländische Universitäten sich „unternehmend“ verhalten bedeutet, dass sie dazu beitragen, in der Region und darüber hinaus Jobs zu kreieren, vor allem durch Ausgründungen und Technologietransfer, und sie stellen dafür auch Risikokapital bereit. Für Ausgründungen auf Basis wissenschaftsbasierter Produkte ist Grundlagenforschung natürlich unverzichtbar, eine Unterscheidung zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung ist in diesem Bereich kaum noch sinnvoll, die Ergebnisse sind aber immer publikabel. Man denke in Deutschland nur an die Vakzine, die an den Universitäten Mainz und Tübingen entwickelt wurden. Hingegen ist an niederländischen Universitäten Auftragsforschung eher eine Ausnahme. Betonen möchte ich auch, dass bei größeren technologischen Forschungsprojekten in aller Regel auch Sozialwissenschaftler involviert sind, um die gesellschaftlichen Implikationen technischer Innovationen von vornherein mit zu berücksichtigen.
Die sogenannten Kleinen Fächer haben sich, ähnlich wie in Deutschland, an einzelnen Standorten konzentriert, in der Regel an älteren Universitäten wie Leiden mit starken geistes- und sozialwissenschaftlichen Traditionen und Fakultäten. Man muss heute sogar grenzüberschreitend, europäisch denken; zum Beispiel sind Münster und Osnabrück von Enschede (Universität Twente) gut erreichbar. Als kritische Grenze für die Aufrechterhaltung eines Studiengangs an der Uni Twente gilt, dass die Zahl der Studierenden pro Jahr nicht dauerhaft unter eine im voraus festgestellte Mindestzahl (Größenordnung etwa 30 bis 50 ) sinkt.
Aus diesen und einigen anderen Gründen finde ich das bayerische Eckwertepapier interessant, weil hier Fragen aufgegriffen werden, die auch in der modernen (Hochschul-)Managementlehre eine große Rolle spielen. Manche der Punkte sind in dem White Paper angesprochen, das ich zusammen mit Joachim Metzner 2017 veröffentlicht habe. Und auch in unseren Workshops bzw. Webinaren werden solche Themen ständig diskutiert.